Ja, das hatte ich auch schon… du musst dieses jenes… naja, so oder so ähnlich verlaufen viele Gespräche von Leuten, mit auf dem ersten Blick „gleichem Leiden… aber…
Du hast Schulterschmerzen, die, wie jeder zweite mit dem du sprichst. Das Problem? Es gibt lokal wahrscheinlich mehr als 20 Strukturen dort, welche die Beschwerden auslösen können und dann noch 100e von weiteren Möglichkeiten, welche Schmerzen in der Schulter direkt auslösen oder mitbegünstigen können. Schmerzen? Beschwerden? Organe oder verschiedene systemische Erkrankungen („chronic low grade inflammation“), genau wie Bewegungsarmut, Stress, Angst, können Schmerzen „auslösen“. Ein wichtiger Faktor ist auch „Ungewissheit“, also „keine Lösung für sein Problem“ zu haben – DAS ist ein riesen Faktor, der Schmerz direkt präsenter machen und verstärken kann. Glaube, „Wissen“ (Wissen können wir nur glauben…), „Erfahrungen“… also sehr tiefes Thema.
Schulterschmerz?
„Shoulder pain is the third most common musculoskeletal complaint in orthopedic practice. It is usually due to a defect of the rotator cuff and/or an impingement syndrome.“
Da haben wir es doch! DAS IMPINGEMENT SYNDROM! Ursachen? ALLES! Es gibt nicht „das Impingement“ Syndrom, was soll das heißen? Übersetzt? „Es ist da etwas eingeklemmt“. Und Syndrom steht für eine „Ansammlung an Symptomen“. Alles klar. Wir wissen durch diese Bezeichnung erstmal NICHTS! REIN GAR NICHTS!
Es „klemmt“ also irgendwas im Bereich deiner Schulter und ob es wirklich strukturell und nicht „systemisch“ ist, wissen wir ja auch noch nicht. Du untersuchst die Schulter und es tut alles weh… Entzündung? Oder Panzer drübergefahren? Systemisch? Psychoemotional? Wissen wir jetzt auch nicht.
Eben beantwortete ich eine Frage in einer Facebookgruppe:
„du „zeichnest“ ja den subacromialen Raum ein – da verlaufen viele Strukturen, von langer Bizepssehne, über Subscapularis, Infraspinatus, Teres Minor, Supraspinatus …. aber da gibts auch die Kapsel, das Labrum und so weiter. Bei solchen Moves wie Muscle Ups, vor allem wenn es „in unter einer Woche von alleine verschwindet“, denkt man gerne an eine „Instabilität“, also nichts Wildes, etwas, was man gut kompensieren kann. Es gibt KEINE muskulären Dysbalancen. Wenn ich dir sag, dass man bei Dips die Aussenrotatoren der Schulter trainiert, bei Klimmzügen die Innenrotatoren, die Körperhaltung extrem variabel und individuell ist und die meisten nur Scheiße reden und ein „selbst erfinden“ nichts bringt, dann werd ich hier wahrscheinlich geschlachtet, aber hey, das ist mein Beruf (nicht nur mein Job). Je nachdem wo du her kommst, schick mal eine Mail und wir schauen uns das vor Ort an – denn übers Internet wirst du da keine verlässliche Aussage bekommen. Ein Beispiel: Ich hatte am Freitag 2 Brüder bei mir. Beide EXAKT die gleichen Symptome. Gleiche Stelle. Gleiche Eltern, gleicher Nachname, ja die wohnen sogar in der gleichen Straße! Gleiches ALLES. Aber es waren zwei unterschiedliche Ergebnisse, was die mögliche Ursache angeht. Also, selbst wenn Symptome identisch sind, muss die Ursache oder die zugrundeliegende Problematik nicht identisch sein…“
Kompliziert und nicht immer einfach, logisch und schnell.
Die Beste Übung bei Schulterschmerz?
Klimmzüge und Rudern? Scapula Pushups? Ring Dips? Irgendwas auf dem Bosu Ball? Normale Liegestütz? Bottom Up Presses? Turkish Get Ups? Ja, ehm…
WAS HAST DU DENN EIGENTLICH GENAU? Es gibt keine „eine Übung für alles“, die Chance, dass du und dein Kollege EXAKT die gleichen Beschwerden haben, ist sehr wahrscheinlich, dass es aber unterschiedliche Gründe dafür gibt, ist genauso wahrscheinlich. Was machen wir jetzt? Es ist unwahrscheinlich, dass eine Übung oder ein Übungsprogramm, bei beiden gleich gut funktioniert. Also es könnte alles, oder eben nichts, funktionieren!
Zumindest scheint bestätigt zu sein, dass eine spezifische Übungstherapie eine unspezifische Auswahl an Übungen, bei dem „subacromialen Schmerzsyndrom“, schlägt. Viele Patienten kommen dadurch ohne OP von ihren Schmerzen weg und entscheiden sich nach 12 Wochen Therapie gegen eine OP, vor allem wie gesagt, wenn eine spezifische, statt eine unspezifische Trainingstherapie benutzt wird (Björnsson Hallgren HC et al 2017). Welche Übungen die Damen und Herren dort verwenden?
„The specific exercise program focused on eccentric exercises for the rotator cuff and both eccentric and concentric exercises for the scapula-stabilizing musculature.“
Mehr Angaben findet man dazu leider nicht. Oft wird der Sleepersstretch empfohlen, um die dorsale hintere Kapsel beweglicher zu machen, da so etwas zu einem „internen Impingement“ führen kann, obwohl der Sleepers Stretch exakt so aussieht, wie ein Provokationstest bei SSS namens „Hawkins Kennedy Test“. Die Horizontale Adduktion scheint ähnliche Effekte auf die hintere Kapsel zu haben, „klemmt“ aber andere Strukturen ein. Also auch hier, je nach genauer Ursache, muss eine andere „Kapseldehnung“ empfohlen werden, wenn überhaupt. Obwohl oft hilfreich, ist es nicht immer hilfreich. Wie auch, wenn es immer etwas anderes sein kann? Exzentrisches Training scheint bei Sehnenveränderungen positiv wirken zu können, obwohl es mittlerweile durchsickert, dass es gar nicht das exzentrische Training ist, sondern das Training. Ob statisch, exzentrisch oder konzentrisch: Es funktioniert!
Was man aber „wahrscheinlich guten Gewissens“ bei der schmerzhaften Schulter empfehlen kann, ist, neben relativer Ruhe und der kurzfristigen Eliminierung der Schmerzauslöser, um die schmerzhafte Afferenz zu brechen, eine Kombination aus:
- Oft: Dehnungen der hinteren Kapsel, wie auch immer das im individuellen Fall aussieht.
- Meist: Training der Rotatorenmanschette in MEHREREN EBENEN.
- Macht zumindest nichts kaputt: Training der Schulterblatt-umgebenden Muskulatur.
- Immer: Anpassung der Trainingstechnik.
- Immer: Finde den Fehler in deinem Training. Belastung zu früh gesteigert? Keine ausreichende Zeit zur Anpassung?
- Immer: Schmerzauslöser und Schmerzerhalter herausfinden und auch im Alltag eliminieren.
- Better try than die: Kollagen, Multivitamin, Omega 3 Fettsäuren…
Und das ist schon etwas vage. Es kommt eben darauf an was genau Phase ist. Und ob es dann wirklich hilft, weil du die Struktur angehst oder weil du daran glaubst? Alleine eine Lösung zu finden ist oft nicht einfach, ein erfahrener Therapeut ist manchmal nicht verkehrt…
Schmerzen einer Struktur, nicht nur der Schulter, sind meistens SHIT: Something Hurts In The Gelenk… selbst nach einer guten Untersuchung weißt du nicht immer Bescheid was es ist …
Der Plazebo Effekt in der Physiotherapie!
Auf Schmerz hat der Plazeboeffekt und die Vorannahme eine große Wirkung (Colloca L 2019, Klinger R et al 2018). Oftmals schneidet eine Plazebobehandlung, gegenüber einem Schmerzmedikament, nicht so viel schlechter ab, obwohl man das zuerst denken würde! Der Plazeboeffekt betrifft aber alle Seiten: Intervention, Therapeut und Patient! Wenn der Therapeut überzeugt ist, dann vermittelt er das auch ganz anders! Wie der Apotheker und Begründer der Autosuggestion, Emil Coue sagte: „Die Worte, die zusammen mit dem Medikament gegeben werden, machen den entscheidenden Unterschied!“.
Also wenn du überzeugt bist, dass es funktioniert, dann funktioniertes. Wenn du überzeugt bist, dass es nicht funktioniert, dann funktioniert es wahrscheinlich nicht. Das ist auch ein großes pro der Osteopathen: Die glauben sich ihre Geschichten ja selbst! Grade nach einer 5-jährigen Ausbildung bist du natürlich selbst von dir überzeugt und kanalisierst das auch so. Aber das ist vielleicht ein Thema für einen anderen Beitrag…
Operation bei Impingement Syndrom?
Plazebo macht aber auch bei Operationen nicht halt und ob es überhaupt die Operation war, die geholfen hat oder die nachfolgende Reha, das steht derzeit immer wieder zur Debatte. Nach 24 Monaten hat eine „subacromiale Dekompression“ zumindest keinen größeren Effekt, als eine diagnostische Arthroskopie („einfach nur mal reingucken, ohne was zu machen“) (Mike Paavola et al 2018). Ob du deine Schulter operieren lassen solltest? Das entscheidest letztendlich nur du, aber:
Die einzige OP-Indikation bei dem Subacromialen Schmerzsyndrom (kurz: SSS; ist minimal aussagekräftiger als „Impingement-Syndrom“) ist es, wenn nicht operative, also konservative, Vorgehen versagt haben. Dazu zählen vor allem Trainingstherapie und Medikamente. Doch NSAR (Nicht Steroidale Antirheumatika) oder Cortisol, helfen vielleicht bei Schleimbeutelentzündungen oder entzündlichen Prozessen wie einer Tendonitis der Rotatorenmanschette (Bruse Aroll et al 2005), sind aber bei dem SSS umstritten und helfen oft einfach gar nicht, zumindest nicht besser als ein Plazebo. Übungstherapie kann helfen, muss aber nicht, je nachdem, was der Behandler so macht. Eventuell war das konservative Vorgehen auch einfach nur kacke und die Wahl eines anderen Konzepts hätte funktioniert – oder du warst nicht geduldig genug? Die Operationsergebnisse sind zwar oft sehr gut, aber wir wissen bis heute nicht, ob es die OP Ergebnisse sind oder das EINFACH MAL NICHTS TUN UND DEN KÖRPER MACHEN LASSEN (Singh B et al 2017).
„… aber die Ursache ist auch nicht immer wichtig! Sondern die Lösung!“
Doch „der Patient“ akzeptiert das „einfach mal nichts tun“ erst, wenn das gewetzte Messer schon angesetzt und der Körper geöffnet wurde. Warum auch immer…
Fazit? Was ist nun die beste Übung?
KEINE. Also einfach mal KEINE Übung machen (erstmal).
(…einen Versuch ist es wert, den Arm einfach mal „in Ruhe“ zu lassen. Was aber, nicht fehlinterpretieren, nicht bedeutet, dass es IMMER bei ALLEM hilft… „es kommt darauf an, was du hast“…)
Mehr zum Thema Reha und Beschwerden am Bewegungsapparat findest du im Ultimativen Athleten Level 3!
QUELLEN:
BMJ. 2018; 362: k2860.
Published online 2018 Jul 19. doi: 10.1136/bmj.k2860
Subacromial decompression versus diagnostic arthroscopy for shoulder impingement: randomised, placebo surgery controlled clinical trial
Mika Paavola, chief surgeon,1 Antti Malmivaara, chief physician,2 Simo Taimela, research director,1 ,3 Kari Kanto, consultant orthopedic surgeon,4 Jari Inkinen, senior physiotherapist,5 Juha Kalske, consultant orthopedic surgeon,6Ilkka Sinisaari, consultant orthopedic surgeon,7 Vesa Savolainen, consultant orthopedic surgeon,8 Jonas Ranstam, professor,9 and Teppo L N Järvinen, professor1 ,3,
Indian J Orthop. 2017 Sep-Oct;51(5):516-523. doi: 10.4103/ortho.IJOrtho_187_17.
Current Concepts in the Diagnosis and Treatment of Shoulder Impingement.
Singh B1, Bakti N1, Gulihar A1.
BMJ. 2012; 344: e787.
Published online 2012 Feb 20. doi: 10.1136/bmj.e787
Effect of specific exercise strategy on need for surgery in patients with subacromial impingement syndrome: randomised controlled study
Theresa Holmgren, PhD student,1 Hanna Björnsson Hallgren, PhD student,2 Birgitta Öberg, professor,1Lars Adolfsson, professor,2 and Kajsa Johansson, senior lecturer1
Annu Rev Pharmacol Toxicol. 2019 Jan 6;59:191-211. doi: 10.1146/annurev-pharmtox-010818-021542. Epub 2018 Sep 14.
The Placebo Effect in Pain Therapies.
Colloca L1.
Br J Gen Pract. 2005 Mar 1; 55(512): 224–228.
Corticosteroid injections for painful shoulder: a meta-analysis
Bruce Arroll, PhD, FRNZCGP, Associate Professor of General Practice and Primary Health Care and Felicity Goodyear-Smith, MGP, FRNZCGP, Senior Lecturer in General Practice and Primary Health Care
Int Rev Neurobiol. 2018;139:107-128. doi: 10.1016/bs.irn.2018.07.015. Epub 2018 Aug 6.
Clinical Use of Placebo Effects in Patients With Pain Disorders.
Klinger R1, Stuhlreyer J2, Schwartz M2, Schmitz J2, Colloca L3.
Acta Orthop. 2017 Dec;88(6):600-605. doi: 10.1080/17453674.2017.1364069. Epub 2017 Aug 16.
Specific exercises for subacromial pain.
Björnsson Hallgren HC1, Adolfsson LE1, Johansson K2, Öberg B2, Peterson A1, Holmgren TM1.
Hier findest du Links zu ein bisschen Literatur zum Thema:*
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