„Oh, da kann man nichts mehr machen“ – sagt Herr Doktor dem 25. Jährigen mit einem „ganz kleinen Bandscheibenschaden“ und was passiert? Katastrophe, die Beschwerden werden schlimmer, verselbstständigen sich – Nozebo? Nein, dumm, unfair und unseriös! Warum unfair? Weil du als Patient ja dem Arzt oder Physio glaubst, oder? Du denkst ja „ok, die haben das gelernt, die sind in diesem Bereich ausgebildet, die werden es schon wissen“, du vertraust und denkst, dass das, was die sagen schon stimmen wird – und was passiert dann? Im schlimmsten Fall gibst du dich auf, deinen Sport, deine Identitäten, deinen Job, je nach dem – denn: „Ist halt kaputt, kann ich nichts dran machen“. Sagte der Typ von gestern? „Chris, boah, alleine deine Erklärung tut so gut und lässt mich hoffen und motiviert mich das richtig bis zum Ende durchzuziehen“, genau – deshalb schreibe ich auch immer mal wieder gerne über Anekdoten und die Praxis, nicht nur über Studien und Daten, sondern auch über „Mensch“ sein, zuhören und diesen ganzen „Kram“, den du selten in einer Ausbildung oder einem Studium lernst – manche „Experten“ sind gar nicht so gut wie sie sich darstellen und manche Experten sind, trotz ihrer Expertise, einfach nur dumme Wichser, also menschlich voll die Flöten und stärkere Chronifizierungsfaktoren als chronischer Stress, (d)ein kack Job oder die falsche Ernährung 🙂 #tschuldigefürdieehrlichkeit
Abgesehen vom Mensch sein und Verboten, zeige ich dir im Folgenden ein paar Daten im Bezug zur Wirbelsäule und der Bandscheibe, wie und ob sie sich anpasst und wie die Erfolgsaussichten nach einem Bandscheibenschaden sind!
Anpassung der Bandscheibe? Ein paar Daten…
Tierversuche zeigen, dass die Bandscheibe sich an unterschiedliche Bewegungen und Belastungen anpassen kann, die genauen „Parameter“ dafür sind aber leider noch unbekannt (Gehlsen et al. 1999), auch wenn die Daten dazu über 20 Jahre alt sind… VIEL WEITER SIND WIR DA NICHT!!! Die Bandscheibe ist zwar größtenteils avaskulär, also nicht oder nur wenig durchblutet, daher ist der Prozess der Anpassung ein langsamer und wenn, dann passt sich v.a. der Anulus Fibrosus an (Skrzypiec et al 2007, Sivan et al 2006, Adams et al 2006, Arjmand et al 2005, Bayliss et al 1988), aber ja, es kommt zu Anpassungserscheinungen – „dein Körper passt sich an, ob du willst oder nicht“, an das was du tust oder nicht tust! In vitro Studien zeigen, das moderate und zyklische Belastungen (Cat Camel, Spazieren gehen, einfach mal „variabel und locker bewegen“) anabole Effekte auf die Bandscheibenzellen haben, während es eher katabol wirkt, wenn du den ganzen Tag nur statisch belastest (einseitige Aktivität, stehen, sitzen, liegen…) oder außerhalb der physiologischen Grenzen arbeitest („endgradig“ z.B. Hyperflexion bei Jefferson Curls oder zu schwere Gewichte, Plyometrie und Explosivkraft wie Kettlebell Swings im Hardstyle Stil…) (Ishihara et al. 1996, Wuertz et al. 2009, Steele et al. 2015, Belavy et al. 2016). Wichtig zu wissen? Wichtig zu wissen ist also, dass eine Struktur mit einer schlechten Durchblutungssituation am besten an Nährstoffe kommt, wenn du sie variabel und viel bewegst, nicht zwangsläufig viel und übertrieben belastest.
Hier kannst du schon mal mit dem Schwamm-Beispiel arbeiten, auch wenn dieses Beispiel nicht 100% perfekt ist, denn je nach Größe der Moleküle stimmt dieses Model nicht so ganz, aber: Du drückst über Belastung den Schwamm aus (Stoffwechselendprodukte) und sorgst über Entlastung dafür, dass er sich wieder füllt (mit Nährstoffen), die Bandscheibe funktioniert zwar nicht identisch, aber ZIEMLICH ähnlich!
Ein witziger Fakt, der auch gerne, trotz all der „Anpassungshypothesen“ (mehr ist das quasi gar nicht! #hypothese), vergessen wird: Eine Bandscheibe, wie alle anderen Gewebe auch, passt sich in der RUHEPHASE an die Belastung und Bewegung an, da während der Belastung, v.a. wenn die Belastung lange Zeit und in hoher Frequenz stattfindet, katabole Prozesse zum Erhaltungsreiz hinzukommen und überwiegen (MacLean et al. 2003, 2004, 2005, Xia et al. 2018, Steele et al. 2015) – also es wird erst etwas „abgebaut“ und ZUSÄTZLICH der Reiz zum Aufbau gesetzt – dann brauchst du erstmal Pause von dem Stressor (die Belastung), damit sich etwas anpasst, aufbaut und der Reiz auch zu Anpassungserscheinungen führt – keine Anpassungszeit zuzulassen, bedeutet, dass die katabolen Prozesse akkumulieren und wahrscheinlich überwiegen! Bedeutet? Heute Jefferson Curls, morgen Yoga, übermorgen schweres Kreuzheben, einen Tag drauf 18 Stunden im Auto sitzen und mal richtig einen abbumsen? Hat er nicht gesagt?
Nein, du musst schon den gesamten Alltag und die belasteten Systeme in deiner Trainingsplanung berücksichtigen – der „normale Alltag“ und das was du dort tust ist ein wichtiger Punkt der auch in der Reha- und Trainingsplanung berücksichtigt werden muss! Wenn du „fatigue failure“ mit „overload“ mischt und dazu noch ein bisschen Statik oder zu endgradige Bewegungen reinstreust, mischt du einfach zwei oder mehr potenzielle Kaputtmacher, sag ich dir wie’s ist – nicht direkt heute, nicht morgen, aber die Chance, dass etwas akkumuliert ist recht hoch – das nennt sich dann „die klinisch stumme Phase“ und der „Bums“ fliegt dir dann „plötzlich“ und oft ohne Vorwarnung um die Ohren! Plötzlich Bandscheibenvorfall? Nein, plötzlich ist nur das Ereignis, das Symptom, die Ursache lag eher im Missverhältnis zwischen Nährstoffversorgung, Belastung und Entlastung.
Das soll dir keine Angst machen, dich nur etwas darauf sensibilisieren, dass du deinen Alltag möglichst Bandscheiben bzw. Wirbelsäulen gesund gestaltest; also vielseitig bewegst und nach schweren Belastungen deiner Wirbelsäule ausreichend Zeit zur Adaption lässt und deinen Alltag dabei berücksichtigst.
Es gibt tatsächlich keine falsche Bewegung, es gibt aber ein zu lange, zu viel, zu oft, zu ungeduldig. Und die derzeitige Datenlage zum Thema Anpassung der Bandscheibe ist wirklich dünn: Also es passiert etwas, aber wie die Dosis sein muss, wie die genaue Regenerationszeit, was genau sich und zu welchem Maß sich anpasst, das ist leider noch eine Unbekannte.
Bandscheibenschäden heilen aber ab! So wie jedes andere Gewebe auch…
Und wenn’s dann mal scheppert? Es heilt auch ziemlich gut ab! In einer Untersuchung von Elkholy haben sich von 289 Patienten mit Bandscheibenvorfällen denen eine Operation empfohlen wurde, 9 gegen diese Operation entschieden (Elkholy et al 2019). Die Autoren haben diese Patienten und deren Verlauf verfolgt und in dieser Studie dokumentiert. Altersdurchschnitt war 35 Jahre und alle hatten größere Bandscheibenvorfälle mit oder ohne Sequestration. Nach etwa 6 Wochen waren die Patienten im Schnitt klinisch wiederhergestellt, also nahezu beschwerdefrei und nach durchschnittlich 6 Monaten kam es zur Resorption des vorgefallenen Bandscheibengewebes – dabei zeigte sich, dass eine kürzere Zeit bis zum klinisch guten Ergebnis, mit einer kürzeren Resorptionszeit korrelierte. 6 Wochen bis zur Abheilung? Das sind exakt die 6 Wochen der Proliferationsphase der meisten Gewebearten und exakt die 6 Wochen des „unspezifischen Rückenschmerzes“; ob ich hier auf einer wirklich heißen Spur bin? Vielleicht.
Es ist aber leider nicht so, dass die Bandscheibe wieder vollständig regeneriert und heilt. Ein Problem speziell die Bandscheibe betreffend ist beispielsweise das Fehlen von notochordalen Zellen ab etwa dem 20. Lebensjahr, was auf Deutsch so viel heißt wie, dass die Regeneration der Bandscheibe zumindest nach einer Verletzung beschränkt ist (De Geer et al 2018). Eher der äußere Anulus kann heilen, der innere Anulus und der Nucleus wahrscheinlich kaum – zumindest deutlich weniger schnell (Kobayashi et al 2008, Moore et al 1994, Sivan et al 2008, Wang et al 2006); du merkst aber am Ende nichts mehr und kannst wieder alles machen! Also dein Körper kann das, dein Kopf auch? Denn Angst und falsche Annahmen haben einen ziemlich großen Einfluss darauf, ob ein Sportler wieder zurück zu seinem Sport findet oder es lieber, aus Angst und Sorge, dass etwas kaputt ist und bleibt, dabei belässt.
Zusammengefasst nach Belavy et al 2016, um der Bandscheibe etwas Gutes zu tun:
- Belastung muss dynamisch sein, nicht statisch, Immobilisation ist nicht gut und Überlastung ebenso nicht; lass immer genügend Zeit zur Anpassung nach einer Belastung.
- Endgradige Bewegungen vor allem in Kombination mit Kompression ist eher schädlich oder diplomatischer ausgedrückt: Es fordert mehr Regenerationszeit, da die Belastung höher ist!
- Langsamere Bewegungen sind vorzuziehen und weniger schädlich.
- Ballistik nicht optimal.
- Zuwenig Bewegung nicht gut.
- Morgens Bandscheibe anfälliger für Verletzung – also Training entsprechend planen.
- Eher aufrecht bewegen ist wahrscheinlich besser als in einer anderen, endgradigeren Position zu verharren und zu bewegen.
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