Manchmal frage ich mich selbst, weshalb ich so wenig über Reha und Verletzungen schreibe, wobei das doch mein Haupt-Arbeitsfeld der letzten fast 20 Jahre ist und mich die Leute mittlerweile aus ganz Deutschland bereisen – unter uns? Ich beschäftige mich den gesamten Tag damit, seit Jahrzehnten, recherchiere für mich, für Klienten und hab manchmal einfach keine Lust noch mehr darüber zu sprechen. Jetzt habe ich mein Buch fertig geschrieben, es bekommt derzeit den letzten Schliff und das sind nochmal 500+ Seiten nur Rehabilitation von Verletzungen und ja, es wird halt langweilig 🙂
Letztens habe ich allerdings wieder ein paar miese Insta-Reha-Kanäle gesehen und dachte „boah, eigentlich müsste man viel mehr machen und zeigen, zum Schutze der Menschheit“, ich hab mich gefühlt wie Batman 😀 da wird ja quasi nur Unsinn erzählt, wie viele Sätze, Wiederholungen, welche Übungen, was gut ist für Kampfsportler, was für Turner, was für Fußballer und alles so komplett frei erfunden, viel zu viele Quick Fixes, alles in unter 1min Reels gepanscht und VIEL ZU SICHER! Ich muss zugeben: Je mehr ich lerne, desto weiter ich mich entwickle, desto „grauer“ und weniger schwarz-weiß wird mein Denken und meine Arbeit. Die Unerfahrensten Therapeuten, Trainer und Coaches treffen komischerweise die absolutesten Aussagen und treten oft am selbstsichersten auf… heißt es nicht: Es ist komisch, dass der Dumme so selbstsicher und der Kluge voller Selbstzweifel ist? Aber ja, das ist wiederum ein ganz anderes Thema. Ich weiß, das UND was ich nichts weiß… und die Daten zum Thema Meniskusrisse helfen da auch nicht so, wie man sich das wünscht, denn: Auch hier gibt es nicht nur rote Zonen und weiße Zonen, sondern auch ganz viele graue Zonen.
Operation bei Meniskusriss oder konservative Behandlung?
Also. Heute geht es mal wieder um Physio-Verletzung-Reha. Explizit um den Meniskus. Weil? Weil ich mir SPONTAN einen Meniskusriss zugezogen habe – zumindest wurde er spontan symptomatisch. Ich stieg aus der Badewanne aus der tiefen Hocke aus und ZACK 😀
Leider klemmte ein Teil des wahrscheinlich neuen Lappenrisses des Meniskus im Gelenkspalt und ich konnte das Knie nicht mehr strecken oder beugen – also es hing in der Mitte fest, ich konnte auch nicht drauftreten. Jetzt bist du alleine daheim, der Boden ist nass, du bist nass, müde, entspannt, aber irgendwie doch nicht mehr und ein Bein fällt plötzlich aus. Ziemlich unangenehm…
Im Nachhinein erklärbar. Der Boden war nämlich nass, weil ich gebadet habe 🙂
Auch der Meniskusschaden ist „erklärbar“, zumindest nachvollziehbar. Eigentlich muss ich diesen schon seit etwa 2006 haben. Die Heilungschancen des Meniskus sind sehr gering, wenn, dann nur im Außenbereich (rot-rot Zone, siehe Foto). 2006 hatte ich nämlich einen kleinen Breakdance Unfall und da einen im MRT positiven Meniskusriss Grad 1-2. 2018 hatte ich nach einem Salto, als ich unglücklich in der tiefen Hocke landete, einen weiteren Meniskusriss, gleiches Knie. Dann 2023 im Juni einmal blockiert, nachdem ich viel in der tiefen Hocke gearbeitet habe, mit Schwellung, aber 2 Wochen später wieder als wäre nichts gewesen. 110cm Boxjumps aus dem Stand und 250kg Kreuzheben waren damit möglich, schmerzfrei… Jetzt vor 1 Woche aber der Totalausfall – am selben Tag habe ich mein Knie etwas mobilisiert, damit ich mit der tiefen Hocke wieder besser zurechtkomme, aber das war scheinbar schon zu hochdosiert – obwohl es wenig war. Sprinten, Kreuzheben, sprinten, war aber seit 2006, auch vor 2 Wochen, kein Thema und unproblematisch. ZACK aus heiterem Himmel? Meistens passiert es nicht plötzlich, man merkt es einfach nur plötzlich. MRT zeigte ein komplexes Rissmuster in alle Richtungen und der Arzt war sich auch sicher „das müssen wir operieren“.
Aber ja, so ist das. OP war geplant, jedoch ist der Meniskus reponiert bei einer Mobilisation – instant schmerzte es weniger, zum Abend hin ging die Schwellung zurück, die Spannung in der Kniekehle wich (Baker-Zyste) und ich konnte das Knie wieder Strecken und deutlich mehr beugen. Warum OP? Weil eine höhergradige Blockade und Unfähigkeit zu bewegen die „einzige klare“ OP-Indikation ist, naja, klar ist auch hier relativ. Rücksprache mit dem Arzt: „Was jetzt besser ist kann ich Ihnen auch nicht sagen, das ist auch ungewöhnlich, dass es so schnell wieder so deutlich besser wird“ und er riet mir außerdem davon ab, den MRT-Befund zu operieren! Mega eigentlich! Ich bin jetzt zwar noch nicht von der Schlachtbank, aber die Tendenz ist: Ok, ich glaub ich krieg das konservativ hin, ich weiß jetzt was ich habe und ja, ist jetzt so.
Operation Meniskus nicht sinnvoll?
Das Ding bei Meniskusschäden? Bis 2023 ist nicht klar, ob eine Operation bei „stabilen Rissformen“ Vorteile hat gegenüber einer nicht-operativen konservativen Option. Das geht noch weiter: Bei degenerativen Rissen – wie meiner es einer gewesen sein wird – ist die Datenlage noch (un)klarer: Eine Operation schneidet WAHRSCHEINLICH schlechter ab, als den Meniskus einfach in Ruhe zu lassen, solange er nicht blockiert! Auch eine Scheinoperation kann zu gleichguten Ergebnissen führen, im Vergleich zu einer tatsächlichen Operation!
Nähte sind zwar auch bei degenerativen Rissen, bei etwa 50-60% der Fälle, erfolgreich durchführbar, aber es kommt öfter zu einer Revisionsoperation. Das ist alles irgendwie sehr unscharf und unbefriedigend – vor allem auch die Definitionen: Was ist ein degenerativer Riss? Was ein frischer? Denn die meisten Rissen entstehen nicht durch akute Überlastung, sondern auf Basis vorausgegangener Mikrotraumen (Degenerationen?) und Schwächung des Gewebes über Zeit. Und dann ZACK, nicht plötzlich…
Man könnte eigentlich auch sagen: Jeder der nach dem 25 Lebensjahr einen Meniskusriss hat, der muss nicht operiert werden, sofern der Meniskus nicht blockiert, weil? Weil es sich dann eher um einen degenerativen Riss handelt! Denn, schau mal: Bei der normalen Bevölkerung mit asymptomatischen Kniegelenken, also ohne Beschwerden zu haben, findet man bis zum 30-40 Lebensjahr bei über 50% Knorpelläsionen und bei über 31% Meniskusrisse. Und bei Fußballern findet man schon ab dem 20. Lebensjahr in 14% höhergradige Meniskusschäden und bei 98% (!) findest du kleine bis mittlere Schäden an Sehnen, Meniskus, Knorpel und Co – bei ASYMPTOMATISCHEN MENSCHEN! Ist es also vielleicht einfach normal, einen Schaden zu haben? Ein natürlicher und normal ablaufender Alterungsprozess? Ich meine: Sofern du keine Schmerzen hast, ist es doch egal wie schön oder unschön das Knie auf dem Bild aussieht, oder?
Meniskusriss, Knie geschwollen…
Wenn du dann da stehst, naja, stehen geht ja nicht, also liegst mit gezwungenermaßen halb angebeugtem Kniegelenk, hast einen Riss, ein dick geschwollenes und schmerzhaftes bewegungsunfähiges Knie und denkst: „Ja fuuuuck, was ist jetzt die beste Option die ich hab?“ und dir 100 neue wissenschaftliche Papiere anschaust und danach denkst „ok, ich bin nicht schlauer als vorher und das ist alles ziemlich unklar“, sticht nur ein einziger Satz der meisten Papiere heraus: SAFE (SAVE) THE MENISCUS!
Egal was man macht – man sollte entweder „in Ruhe lassen“ wenn es asymptomatisch ist ODER nähen, wenn man operiert. Die Meniskektomien (= ein Teil des Risses wird einfach entfernt 😀 ) schneidet in den meisten Untersuchungen (allen?) einfach deutlich schlechter ab, was die langfristige (!) Langlebigkeit des Kniegelenkes angeht! Kurzfristig ist eine Meniskektomie allerdings die schnellste Möglichkeit wieder Sport zu treiben: Nach unter 12 Wochen bist du wieder zum Leistungssport fähig – und das wurde z.B. 2020 auch beim Profifußballer Kimmich gemacht, der stand in gut einem Monat wieder auf dem Platz! Aber: Du verlierst nach hinten raus wahrscheinlich einige Jahre und bekommst früher degenerative Verschleißproblematiken. So zumindest die Untersuchungen zu dem Thema.
Wo sich am Ende alle einig sind? Nach der Bedarfsanalyse des Klienten / Patienten / Sportlers wird entschieden:
1. Konservativer Versuch für mindestens 3 (bis 6) Monate; ob der Meniskus anwächst wissen wir nicht, wir wissen jedoch, dass meistens die Beschwerden und die Funktion in den meisten Fällen in dieser Zeit wieder hergestellt werden kann. Konservativ bedeutet aber nicht Massagen, NSAR und beten, sondern Trainingstherapie, Lifestyleinterventionen, Ernährungs- und Supplementeinsatz und Edukation, Trainingsplananpassung und vieles mehr…
2. Wenn operiert werden „muss“: Naht vorziehen (sofern möglich die beste Möglichkeit, aber mit langer Reha-Phase von wenigstens 24 Wochen); selbst horizontale Risse können scheinbar genäht werden und selbst in der weißen Zone hat man immerhin eine 50/50 Chance, dass das klappt…
3. Meniskektomie (um schnell wieder auf dem Platz zu sein, 4-12 Wochen Reha-Phase; hier muss sich das Gewebe und die Statik „kurz“ an die neuen Bedingungen mit weniger Meniskus und anderen Druckpunkten gewöhnen); schnellste Variante und im Hochleistungssport in welchem du auch 1 Mille pro Monat damit verdienst eventuell gerechtfertigt, aber im Hobby- und Breitensport, auch, wenn man es leistungsorientiert betreibt, wahrscheinlich nicht die beste Lösung. Schneller bedeutet nicht immer besser… und hier gibts nochmal die neuste Untersuchung zum Thema Meniskus operieren, oder nicht.
Gute Besserung!
Und wenn dich das Thema Rehabilitation von Verletzungen (auch von Knieverletzungen) interessiert und du wissen möchtest wie eine moderne Trainings- und Physiotherapie aussieht, dann schau dir mal unser Modul 2 des Kraft- und Gesundheitstrainers an (Online, abgefilmt), sowie mein humorvolles Physio-Fachbuch Diagnose sportunfähig!
Beide zusammen ersetzt zwar keinen guten Physiotherapeuten und Trainer, aber einen schlechten!
Ein bisschen vernünftige Fachliteratur zum Thema MRT und Knie:*
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Quellen
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Bezuglov EN, Lyubushkina AV, Khaitin VY, Tokareva AV, Goncharov EN, Gorinov AV, Sivakova EY, Sereda AP. Prevalence of Asymptomatic Intra-articular Changes of the Knee in Adult Professional Soccer Players. Orthop J Sports Med. 2019 Nov 27;7(11):2325967119885370. doi: 10.1177/2325967119885370. PMID: 32010730; PMCID: PMC6967194.
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Horga LM, Hirschmann AC, Henckel J, Fotiadou A, Di Laura A, Torlasco C, D’Silva A, Sharma S, Moon JC, Hart AJ. Prevalence of abnormal findings in 230 knees of asymptomatic adults using 3.0 T MRI. Skeletal Radiol. 2020 Jul;49(7):1099-1107. doi: 10.1007/s00256-020-03394-z. Epub 2020 Feb 14. PMID: 32060622; PMCID: PMC7237395.
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Vignes, H.; Conzatti, G.; Hua, G.; Benkirane-Jessel, N. Meniscus Repair: From In Vitro Research to Patients. Organoids 2022, 1, 116-134. https://doi.org/10.3390/organoids1020010
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